Das traditionelle Konzept eines globalen Sicherheitsfaktors pro Fall ist übersichtlich aber nicht besonders genau. Moderne Sicherheitsberechnungen enthalten stattdessen je nach Situation eine Kette von Teilsicherheits- oder Partialfaktoren, die nacheinander angewendet werden, von der Bestimmung der Bodeneigenschaften bis zum Verlauf der Drucklinie im Mauerkörper. Da solche Berechnungen ein gutes Verständnis der betreffenen Normen und Zugang zu den tabellierten Partialfaktoren voraussetzen, bleiben sie meistens Ingenieuren vorbehalten. Für andere Leute, einfache und eindeutige Fälle sowie zur Überprüfung, eignen sich die herkömmlichen globalen Sicherheitsfaktoren.
Neben den expliziten kommen implizite SF oder gröbere Annahmen in Richtung zusätzlicher Sicherheit. Zum Beispiel wird für den Wandreibungswinkel δ üblicherweise zwei Drittel des Reibungswinkels φ eingesetzt, obwohl bei einer gut verzahnten Rückseite einer Trockenmauer δ=φ zutreffen dürfte, wie Messungen bei Raumgitterkonstruktionen zeigen (vgl. Brandl 1983) und bei Gabionen empfohlen wird (vgl. FLL Gabionen 2012). Dies führt dazu, dass die errechneten Kippmomente bei den meisten Trockenmauern grösser sind als die tatsächlichen, was hier einem zusätzlichen Sicherheitsfaktor entspricht.
Hingegen beinhaltet das physikalische Modell des Standmoments, welches bei einer monolithischen Mauer und einem absolut festen Boden korrekt wäre, bei Trockenmauern und reellen Böden schwer einschätzbare Unsicherheiten: das Standmoment könnte kleiner sein als berechnet.
Dass sich das relativ einfache Modell trotzdem in der Praxis bewährt und ähnliche Resultate wie die von aufwändigeren mathematischen Modellierungen erreicht, könnte damit zusammenhängen, dass sich positive und negative Unbekannte teilweise kompensieren.
Im folgenden geht es um die SF beim Nachweis der Gleit- und Kippstabilitäten. Schon im 18. Jahrhundert wurden in Frankreich Sicherheitsfaktoren gegen Kippen spezifiert, meistens 1,2 oder 1,25 (vgl. Heyman 1997). In O'Reilly & Perry (2007) findet sich eine Zusammenfassung der neueren Handhabung bei der Dimensionierung von Trockenmauern in Grossbritanien. Zunächst wird festgehalten, dass derselbe Sicherheitsfaktor bei verschiedenen Berechnungsverfahren zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. So wurde seit über hundert Jahren generell ein SF von 1,5 beim Kippen und Gleiten von Stützmauern angewendet, jedoch wurden früher die Wandreibung und die vertikale (stabilisierende) Komponente des Erddrucks vernachlässigt. So war der effektive SF meistens größer als 1,5. Neuere Empfehlungen für Schwergewichtsmauern berücksichtigen genauere Berechnungen aber setzen den SF bei 2 (also 100% Zuschlag) an, wie auch die (Beton-)Stützmauer-Bemessungstabellen in VSS (1966).
Die britischen Autoren erwähnen weiter, dass die Unsicherheiten bei Trockenmauerwerk zwar grösser als bei gemörteltem oder bewehrtem Mauerwerk sind, aber dass sich das Versagen von Trockenmauern meistens im voraus sichtbar ankündigt und Haftungsfragen bezüglich der Gefährdung des Lebens vermieden werden. Zwei Beispiele dienen zur Illustration: eine 6 Meter hohe Trockenmauer mit der englischen Strasse B3283 darauf, entwickelte Risse und versagte nach 12 Stunden; eine andere 4 Meter hohe Mauer unter der Hauptstrasse A6187 sogar erst nach drei Tagen. In beiden Fällen blieb der Polizei genügend Zeit, um die gefährdete Fahrspur abzusperren.
Für den Neubau von Stützmauern geben die französischen Empfehlungen (CAPEB 2008) Zuschläge von 20 Prozent (Gleiten) oder 50 Prozent (Kippen) an, je nachdem wie die Stabilitätsgrenze erreicht wird. In älteren europäischen Normen wird für beides mit 50 Prozent gerechnet. In FLL (2012) wird gegen Gleiten 50 Prozent angesetzt, gegen Kippen kommen wie bei den relevanten DIN und SIA-Normen andere Annahmen in der Berechnungsmethode vor. Eine solche ist es, die Position der Stützlinie innerhalb des Mauerwerks einzugrenzen. Ein Prinzip der Festigkeitslehre besagt, dass die Stützlinie innerhalb des mittleren Drittels des betreffenden Querschnitts - der so genannten ersten Kernweite - verlaufen muss, wenn in der abgewandten Fläche klaffende Fugen ausgeschlossen sein sollen. Bei einer Mauer heisst das, dass die Stützlinie die Gründungsfuge nicht näher als 1/3 ihrer Breite b zum vorderen Fußpunkt schneiden darf, respektive maximal 1/6 · b von der Mitte aus; man nennt dies die Ausmittigkeit oder Exzentritzität. Dies entspricht bei aufrechten, rechteckigen Mauern einem SF von ungefähr 3, bei Mauern mit Anzug weniger, d.h. die beiden Methoden sind im Allgemeinen nicht deckungsgleich. Auch bei Mauern mit Sockeln ergeben sich Unterschiede, wie in VSS (1966) und Dörken&Dehne (2004) beschrieben wird. Hier finden sich auch Empfehlungen, den Verlauf der Stützlinie innerhalb der mittleren zwei Drittel - der erweiterten Kernweite - zuzulassen, d.h. mindestens 1/6 der Breite vom vorderen Fußpunkt entfernt, respektive mit einer maximalen Exzentrizität von 1/3 · b. Bei üblichen Mauerprofilen ohne viel Anzug entspricht dies grob dem traditionellen SF von 1,5.
Bei den heute aktuellen Normen ist nicht ganz klar, in welchen Fällen und in welchen Ländern der strengere Wert gilt, da Kriterien zu Verkehrslasten, Bodensetzungen und Verformungen sowie Rissbildung unterschiedlich bewertet werden, sich jedoch in diesem einen Wert abbilden. In den schweizerischen Normen, im Prinzip vollständig auf das System mit Partialfaktoren umgestellt, gilt für die Exzentrizität die weniger strenge erweiterte Kernweite. In den deutschen Normen gilt hingegen der strengere Wert mindestens für den Erddruck durch ständige Lasten bei höheren Stützmauern, der weniger strenge mindestens für die Summe des Erddrucks durch ständige und durch vorübergehende Lasten. Ältere Indische Normen für Bergstrassen verwenden dasselbe normative Prinzip, jedoch bezüglich Erdbeben (vgl. Ayra 1983). Stützmauen sollten bei ständiger Last einen SF von 2,0 gegen Kippen aufweisen und bei zusätzlichen Erdbebenlasten einen von 1,5. Gegen Gleiten betragen die SF unbelastet 1,75 und bei Erdbeben 1,33. Auf den ersten Blick erscheinen die Zahlen verkehrt herum und man muss genau überlegen, um die Logik hinter den Fallunterscheidungen zu erkennen. Mit den deutschen Normen wird verhindert, dass Stützmauern nur für den unbelasteten Fall ausgelegt und vielleicht trotzdem mit schweren Fahrzeugen befahren werden und dann unterdimensioniert sein könnten. In Indien sollen hingegen alle Stützmauern mit einer gewissen Erdbebenresistenz erstellt werden. Die schweizerische Normen sind etwas flexibler und geben den Planern mehr Freiheit und mehr Verantwortung bei der Auslegung. Insbesondere der Nachweis der Gebrauchstauglichkeit kann Erfahrungswerten oder üblichen Erwartungen entsprechen oder ganz entfallen. Da bei Trockenmauern Verformungen bis zu einem gewissen Grad tolerierbar sind und das Konzept der klaffenden Fuge wenig relevant ist, dürfte hier in der Praxis meistens der weniger strenge Exzentrizitätswert genügen - nicht nur in der Schweiz oder Frankreich.
Auch gegen Grundbruch werden SF angewendet. Es gibt unterschiedliche für verschiedene Zwecke und Bedingungen; bei hohen Trockenmauern dürfte ein SF von z.B. 2 (Schweiz) oder 3 (Indien) zur Anwendung kommen (vgl. VSS 1966 und Arya 1983).